Text: Hermann Mengler
Sehr geehrte Anwesende, geschätzte Laureatin Frau Wirsching, liebe Andrea,
du bekommst heute eine besondere Ehrung und wirst vom Verein Weinfeder e.V., zur Weinpersönlichkeit, ernannt.
Chapeau an die Verantwortlichen, die Auswahl war sicher nicht leicht, denn schließlich befinden wir uns auf dem Gebiert des Weines und das heißt im vertrackten Zauberbereich individueller Wahrnehmung. In diesem Zauberbereich geschieht es oft genug, dass ein und derselbe Wein sowohl als grandios als auch banal bezeichnet wird.
Ich falle mal gleich mit der Tür ins Haus, liebe Andrea, du bekommst diesen Titel zurecht.
Ich beginne meine Laudatio mit dem wahrscheinlich dringend erforderlichen Hinwies darauf, dass ich seit 44 Jahren, das Weingut Hans Wirsching begleiten darf, woraus sich eine gewisse Bekanntheit mit der Laureatin ergeben hat.
Sie trägt einen großen Namen! – Sie wird in den Weinadel hineingeboren, Wirsching in Franken eine Weindynastie, Weinbau seit 1630 – Adel verpflichtet, da steht man stramm, wenn der Name Wirsching, genannt wird.
Würde und Bürde zugleich!
Man könnte meinen ja klar, alles vorgezeichnet, nur einfach den vorgegebenen Weg weiterlaufen – aber weit gefehlt – Es Passiert Soviel Zwischen Himmel Und Erde…
Es gibt Biographien die ruhig und gleichmäßig verlaufen und deren Entwicklung sich bereits früh abzeichnen – und dann gibt es Lebenslinien, die sich wild mäandernd ihrem Ziel, ihrer Bestimmung nähern.
Spannende Biographien die kompliziert scheinen, mit hohen Höhen und mit tiefen Tiefen, mit Irrungen, Wirrungen, Kursänderungen und einem glücklichen Im Hafen ankommen.
Homers Odysee hätte hier Pate stehen können.
Am 1. Februar 1964 wird Andrea Wirsching im Sternzeichen des Wassermanns, in München geboren…
„Der Wassermann ist ein Nonkonformist, er ist unabhängig, originell und hat einen innovativen Geist, ist sehr aufnahmefähig und analytisch hochbegabt. Wassermänner sind selbstlos, denn das Glück anderer ist ihr eigenes Glück. Motivieren und begeistern tut sich dieses Sternzeichen für die ganz großen Sachen, denn er träumt davon, Dinge zu verändern“.
Mit einem Lebensjahr ziehen die Eltern nach Iphofen, denn ihr Vater Heinrich Wirsching, ein promovierter Betriebswirt und bis dato erfolgreicher Banker, wird zurück nach Iphofen gerufen um gemeinsam mit seinem Bruder Hans, das Weingut Wirsching, in die Zukunft zu führen.
Andrea taucht ein in die Welt der „Wirschingsippe“.
Kindheit und Jugend sind nicht immer leicht, man lebt zwar in Iphofen, mit den Menschen, den gleichaltrigen zusammen und doch irgendwie für sich, nicht allein, aber für sich.
Der Laudator kennt Andrea seit ihren 13 Lebensjahr. Zugegeben, Sie erinnert sich sicher nicht an diese Begegnungen.
Ich durfte nämlich während meiner Praktikantenzeit im Jahre 1977, im Weingut Wirsching, Andrea und ihre Mutter mehrmals in das benachbarte Markt Bibart zu ihren Hobby, den Pferden, fahren und als Mitarbeiter ist man ab und zu am Familiengeschehen näher dran.
Ich erlebte Sie bereits in dieser Zeit als einen heiteren Lichtstrahl im täglichen Allerlei, immer originell und gelegentlich von der Lust am Risiko beseelt!
Auf meine Frage weshalb Sie so gerne zum reiten geht: „antwortete sie keck, beim reiten fühle ich mich so, wie ich sein möchte.“
Schulzeit und Abitur gehen standesgemäß über die Bühne.
Der Erste große Haken wird geschlagen, als die Mutter die Familie verlässt und Andrea, als die Älteste der drei Geschwister mit 18 Jahren Verantwortung übernimmt und versucht die Mutterrolle, so gut es geht, zu übernehmen. Schon früh zeigt sie sich als „Dienstleisterin, als Schafferin“.
Der Vater hat keine Zeit, denn nach 3 geringen Ernten steht ein Mega-Jahrgang 1982, ins Haus und will gemanagt werden.
Der Zweite Haken folgt 3 Jahre später, als ihr Vater eine neue Beziehung eingeht. Andrea ist im Zustand des unverstanden-Seins und der Einsamkeit.
Andrea zieht die Konsequenz, braucht Tapetenwechsel, – Abstand – möglichst weg von Franken, sie startet ein Geschichtsstudium in Augsburg, wird Historikerin.
Mit 23 Jahren Heirat mit Stefan, sie fühlt sich geborgen und angekommen, doch schon nach zwei Jahren folgt Haken Drei, Sie muss zurück nach Iphofen wo sie ihrem Vater im Weingut beisteht, nachdem dessen Bruder Hans 1990 gestorben war und eine große Lücke im Weingut hinterlies.
Sie durchläuft eine Lehrzeit in verschiedenen Betrieben unter anderen beim heutigen Weingut Prinz Salm an der Nahe und ist froh der reinen Wissenschaft und Lehre entkommen zu sein. Sie ist wieder daheim.
Und immer mehr, brennt ihr Herz für den Wein, den fränkischen Wein.
Haken Vier:
Träumerin für eine realistische Zukunft: Noch bevor Sie eine Stelle in Hongkong antritt, lernt Sie auf der Mainzer Weinbörse Christian kennen und träumt 3mal, vom gemeinsamen Lebensweg. Es wird geheiratet, Sie zieht an die Saar, wird leidenschaftliche Mutter dreier Töchter; fühlt sich wohl dort, ist angekommen in ihrer neuen Familie und dem Umfeld.
Zitat von Andrea Wirsching: „Learning by doing – Buchhaltung, Verkauf, Kochen, Export – und von meinem Mann viel über die Arbeit im Weinberg und im Keller – Davon profitiere ich heute sehr“.
Haken Fünf:
Mit den Jahren treten Spannungen auf und die Ehe zerbricht und Andrea geht mit der jüngsten ihrer Töchter (die Älteren sind schon aus dem Haus) wieder zurück nach Iphofen. Mit diesem letzten Haken biegt sie, 2010 in die Zielgerade.
Sie steigt erneut im elterlichen Weingut Hans Wirsching ein; die Familie findet wieder zusammen und sie führt jetzt als verantwortliche Geschäftsführerin in der 14 Generation mit Leidenschaft das Familienweingut. Uff!
Unsere Preisträgerin ist und das ist das Besondere daran an solchen Lebenslinien, als Sie selbst wieder herausgekommen, ohne die berühmte „déformation professionelle“.
Auch wenn sich vieles um den Wein dreht, ist in Andrea die Historikerin noch präsent. Neben dem Mantra, Werte zu schaffen, geht es auch um Werte erhalten. Alles mit einer gewissen Demut, aber auch mit Mut und Vision.
So darf man sie durchaus Bocksbeutelbotschafterin nennen. Sie hat als Winzerin und Jägerin einen großen Respekt vor der Kultur und Natur und glaubt an die Schöpfung. „Allein in der Natur zu meditieren, da wird man demütig, leise, ruhig, und schöpft Kraft.
Sie ist tief im christlichen Glauben verankert, der ihr in manchen Sinnkrisen ihr Vertrauen, Fröhlichkeit, Zuversicht und ein quäntchen Gelassenheit spendet.
Mit dem israelischen Weingut „Kishor“ im Bergland von Galiläa zelebriert man als „Twinwinery“ Völkerverständigung und führte sicher zur Herstellung des ersten koscheren Silvaner Frankens.
Ihr Projekt „Sister Act“-Weine, gemeinsam mit ihrer Schwester, zeugen vom Familiensinn, vom Zusammenhalt, vom gemeinsamen Spirit.
In Krisen zählen Innovationen. Die Pandemie führte zur Potenzierung der Digitalisierung. Mit euren professionellen, digitalen Weinproben konntet ihr einen neuen Kundestamm aufbauen, wodurch Einbußen kompensiert wurden.
Für Andrea muss die Weinwelt weiblicher werden, denn da, wo die Macht sitzt, da sitzen meistens noch keine Frauen“, „Um sich durchzusetzen, muss man dran bleiben und manchmal auch auf den Tisch hauen“.
Die Konsequenz: 1. Vorsitzende Vinissima von 2014-2016 mit gewohnt unglaublichem Engagement und äußerst einfühlsamer Empathie
Die vinologischen Erfolge des Weingut Wirsching, sind nicht mehr zählbar. Mit Trophys, Medaillen, Auszeichnungen und Erfolgen kommt man seit Jahrzehnten bestens zurecht, aber seit Andrea am Ruder ist, nehmen die Auszeichnungen nicht nur zu, sondern beinahe überhand.
In großzügiger Demut bleibt Sie bescheiden und schiebt alles Ihren Fachleuten zu, mit denen sie aus dem Vollen schöpfen kann. So etwas wird freilich erst möglich, wenn man im Stande ist, sich ganz auf das Wohl und Wehe der Sache zu konzentrieren und dabei Geltungsbedürfnis, Eigensinn und Eitelkeit außen vor zu lassen.
Dieses Naturell besitzt Andrea und gerade darum wurde Sie 2018 zur Winzerin des Jahres, gekürt.
Die erfolgreiche Unternehmerin hat natürlich Ziele:
Sie brennt für deutschen Wein, will das Profil noch mehr schärfen und den Export ankurbeln, in die Produktion investieren, um die Prozesse zu optimieren – und als ihre dringendste Aufgabe sieht sie es an, Wasser für die Tröpfchen-Bewässerung der Junganlagen in ihre geliebten Weinberge in Iphofen, zu bringen.
An dieser Stelle komme ich noch einmal auf den Jahrgang 1964 zurück:
1964 Guter, sortentypischer Wein mit wenig Säure. Keine Schäden im Winter, keine Spätfröste. Dank günstigen Wetters verlief die Rebblüte gut und es zeigte sich ein reicher Fruchtansatz. Bis 25. August anhaltende Trockenheit mit verlangsamter Reifeentwicklung. Auf tiefgründigen Böden und bewässerten Anlagen jedoch gute Traubenausbildung. Auf flachgründigen Böden und Steillagen haben die Rebstöcke und die Trauben oft stark durch die Trockenheit gelitten.
Wurde dir etwa Dein heutiges Engagement für das Wasser, bereits in den Jahrgang gelegt?
Geschätzte Laureatin, liebe Andrea
Wer dich trifft hat sofort das Gefühl, dich schon lange zu kennen.
Mit deiner Leidenschaft, deinem fröhlichen Naturell, deiner einfühlsamen Empathie, deiner Liebe für die Menschen und das Leben, wirkst du ansteckend und sehr bereichernd.
Zu deinen Charakterstärken zählen zweifelsfrei der ausgeprägte Schutzinstinkt und die fürsorgliche Wärme.
Mit deiner stetigen Offenheit für Neues, dem permanenten hinterfragen – Warum ist das so? –
sowie deinem Engagement, deiner Schaffenskraft kommen belebende Impulse und Innovationen in die (weibliche) Weinlandschaft und bereichern unsere gesamte Weinwelt.
Wir brauchen Weinmenschen wie dich, die mit Stärke ihrer Persönlichkeit und der Kraft ihres Ausdrucks das Leben lebenswerter machen.
Du tust uns gut.
Von daher ist deine heutige Ernennung zur Weinpersönlichkeit 2021, mehr als gerechtfertigt und ich gratuliere dir von Herzen zu dieser Auszeichnung.
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