Text: Rudolf Knoll
Der Termin passte perfekt. Ende September 2020, wenige Tage vor dem Jubiläum „30 Jahre deutsche Wiedervereinigung“, wurde ein Mann von der Weinfeder als „Weinpersönlichkeit des Jahres“ ausgezeichnet, der in diesen drei Jahrzehnten in der ostdeutschen Weinszene Großartiges geleistet hatte. Dabei wurde er als einstiger klassischer „Wessi“ mit viel Unternehmergeist zu einem Mann, der in Wein-Sachsen viele Akzente setzte, sich selbst schon länger als Sachse fühlt (sogar den Dialekt hat er drauf) und in einem schwierigen Umfeld angekommen ist. Die Rede ist von Professor Dr. Georg Prinz zur Lippe, dem Eigentümer des Weingutes Schloss Proschwitz in dem Meißener Ortsteil Proschwitz.
1980 war er erstmals in die einstige Heimat seiner Eltern gereist, die 1945 von den Sowjets enteignet und in den Westen vertrieben wurden. Was er damals sehen konnte, war erschütternd. Die Weinberge wirkten vernachlässigt, das Schloss diente als Unterkunft für geistige behinderte Kinder und machte von außen einen sehr ramponierten Eindruck. Zutritt war für ihn natürlich verboten. Der damals 23-Jährige, der nach dem Abitur Agrar- und Betriebswirtschaft studierte und hier auch in der Uni Weihenstephan die damals noch existierende Sparte Weinbau zur Kenntnis nehmen konnte, kehrte etwas erschüttert zurück, um dem Vater Bericht zu erstatten.
Christian Prinz zur Lippe regte trotzdem gleich nach dem Mauerfall an, dass der Junior – inzwischen in der renommierten Unternehmensberatung Roland Berger auf aufsteigendem Ast – nochmal in den Osten reisen sollte, um zu sondieren, ob vielleicht etwas machbar war mit dem einstigen bedeutenden Familienbesitz mit Schloss, Wald und vielen Rebflächen. Klar war sehr schnell, dass mit einer Rückgabe von Gebäuden und Ländereien nicht zu rechnen war. Der Einigungsvertrag hätte nur gegriffen, wenn die Nazis die Familie vor 1945 enteignet hätten oder wenn das nach 1949 in der schon gegründeten DDR passiert wäre. Die Zeit dazwischen in der Sowjetischen Besatzungszone war ausgenommen. Dass die Familie von der NSDAP 1943 aus dem Schloss rausgeschmissen wurde, spielte keine Rolle.
Der junge Prinz entwickelte bald nach der Wende im damaligen „Wilden Osten“ Visionen. Er wollte ein neues Weingut gründen oder das alte wieder zum Leben erwecken. Er fand Kontakt zu Mitarbeitern eine Landwirtschaftlichen Produktionsgesellschaft, die gut ein Dutzend Hektar Reben bewirtschafteten, aber nicht mehr wussten, wie es mit ihnen weitergehen sollte. Schnell wurde er mit ihnen handelseinig, übernahm die Fläche und sorgte damit schon mal für einen Hoffnungsschimmer bei den „Ossi’s“, von denen einer heute noch ein treuer Mitarbeiter ist. Er pendelte zwischen seinem Wohnort München und der Beratertätigkeit sowie dem Neuland Weinbau hin und her, hauste im Osten in einer alten Hütte und schlief auf einem Feldbett. Aber 1991 waren die Weichen gestellt für den ersten Jahrgang. Doch wohin mit den Trauben? Mit der Genossenschaft Meißen fand sich keine vernünftige Geschäftsgrundlage. Ergo klopfte er bei seinen entfernten Verwandten im fränkischen Castell an, die schnell zu dieser speziellen Aufbauhilfe Ost bereit waren und ihren Kellermeister Ludwig Krammer abstellten. Jungwinzer Georg Prinz zur Lippe transportierte seine Trauben in mehreren Fuhren mit einem betagten Lkw der Volkspolizei nach Franken, wo sie der Profi zum „Sächsischen Landwein“ ausbaute. Der Wein, ein Grauburgunder, gelang gut und war bei einer Verkostung im März 2020 noch gut trinkbar, ohne eine Spur von Oxidation.
Persönlich hatte der Prinz in den ersten Jahren durchaus Schwierigkeiten, sich in der neuen Umgebung zurechtzufinden. „Der Adel nimmt uns wieder alles weg“, war die vereinfachte Denkweise vieler vormaliger DDR-Bürger, die vorher das Wort Adel überhaupt nicht gekannt hatten. Sie waren in einer Umgebung aufgewachsen, in der selbstständiges Handeln und Denken nicht unbedingt weit verbreitet waren. Aber Lippe blieb unerschütterlich, fand für seinen zweiten Jahrgang 1992 schon ein Provisorium in einem alten Gemäuer, auch hier wieder mit Unterstützung des fränkischen Kellermeisters, der ihn gern mit einem kraftvollen „Prinz, aufstehen“ um 6 Uhr morgens zur Arbeit hochschreckte. So langsam kapierten die Sachsen, dass da einer etwas bewegen wollte und das von Vorteil für sie sein konnte. 1995 war schon von Seiten einer Fremdenführerin in Meißen bei einem Rundgang zu hören: „Da drüben geht unser Prinz.“ Andererseits erlebte er bei einer Journalisten-Fassprobe des Jahrgangs 1993 im Meißener Restaurant „Vinzenz Richter“, dass er hinterher eine Strafanzeige wegen Inverkehrbringens von ungeprüften Weinen bekam – die allerdings schnell niedergeschlagen wurde.
Bald darauf konnte er in einem Vierseithof im Dorf Zadel einige Kilometer von Proschwitz entfernt ein richtiges Weingut installieren, mit Keller, Vinothek, Hotel plus Restaurant. So nebenbei entstand noch eine Kellerei in einem Gewerbegebiet, weil die Rebfläche wuchs und teilweise der Ausbau für andere Betriebe übernommen werden konnte, die in Sachsen wie Pilze in einem milden, aber etwas feuchten Sommer aus dem Boden schossen. 1995 wurde außerdem geheiratet. Die profilierte Journalisten Alexandra Gerlach wurde damit zur Prinzessin. Ein Jahr später geschah aus Sicht des jungen Ehemannes etwas Sensationelles. Das alte Familienschloss Proschwitz wurde ihm zum Verkauf angeboten. Er fühlte sich zwar in jener Zeit durch die diversen Investitionen in Weinberge, die Kellerei und in den Trakt in Zadel wie ein Känguruh („große Sprünge machen, aber nichts im Beutel“). Trotzdem nutzte er die Chance, den einstigen Familienbesitz zu kaufen.
Glück hatte er in jener Zeit, dass er zwei tüchtige Mitarbeiter fand, die im Keller und im Verkauf Akzente setzten und damit das Weingut enorm voran brachten: Seiteneinsteiger Martin Schwarz sorgte als Kellermeister für eine deutliche Qualitätssteigerung. Vertriebsleiter Peter Bohn steigerte den Absatz durch vielseitige Kontakte, bei denen er seine Überzeugungskraft ausspielte. Hilfreich war dabei die 1996 erfolgte Aufnahme in den Verband der Prädikatsweingüter (VDP), zeitgleich mit einem richtigen „Ossi“, nämlich dem Weingut von Vater Udo und Sohn Uwe Lützkendorf aus Bad Kösen, einem jungen Pionierbetrieb an Saale-Unstrut (der Senior war vorher Chef im Volkseigenen Landesweingut Bad Kösen).
Ein guter Geschäftsgang und die Fortschritte in der Renovierung des Schlosses ließen die immer wiederkehrenden Probleme mit den nicht seltenen Frostjahren in Sachsen ertragen. Das machte sogar übermütig. 2008 ermunterte ihn ein Landrat, im weinbaulich aufstrebenden Thüringen ein Weingut zu gründen. Ein passendes großes Grundstück auf den Gemarkungen von Weimar war schnell gefunden. Bald standen über 40 Hektar unter Reben. Das Weinhaus zu Weimar funktionierte aber nur so wie im ersten Jahr das Jungweingut in Sachsen: Da keine Kellerei vorhanden war, mussten die Trauben rund 200 km per Lkw in die Zentrale transportiert werden. Die Qualität war trotzdem gut, die Weine ließen sich ausgezeichnet verkaufen. Objekte für die Einrichtung einer Kellerei gab es einige, aber der Widerstand bei diversen Kleingeistern in einigen Dörfern war so heftig, dass Georg Lippe nach einigen Jahren das Handtuch schmiss und seinen Thüringer Betrieb der Agrargenossenschaft Gleina (ein Teil der Winzergenossenschaft Freyburg) übergab.
Das war im Rückblick betrachtet gut so. Wachstum ist nicht alles, erkannte er. Vor allem, wenn es mit so viel Hindernissen verbunden war. Verdauen musste er zwischendrin zwei personelle Abgänge. Kellermeister Schwarz machte sich selbstständig. Und Vertriebsleiter Peter Bohn fand eine neue Aufgabe in Rheinhessen als Chef des traditionsreichen Weinhandelshauses Valckenberg in Worms. Aber Lippe überwand diesen Aderlass. Dass er stets ein Chef war, der sich am Rat seines Vaters orientierte („Die Kommunikation mit den Mitarbeitern muss immer auf Augenhöhe geschehen, nicht von oben herab“), wird deutlich, dass es nach wie vor einen guten Draht zu Bohn gibt und Martin Schwarz nach dem notwendigen Abgang eines seiner Nachfolger, der zu eigenwillig agierte, im Herbst 2020 als Nothelfer einsprang und dabei gleich das neue Kellerteam „trainierte“.
Inzwischen ist das einst heruntergewirtschaftete Schloss im besten Zustand und bietet einen besonderen Rahmen für Feiern und Festlichkeiten. Auch das Schlossgelände wird für Veranstaltungen genutzt, in diesem Jahr zwangsläufig seit Frühjahr nicht mehr. Derzeit wird in einem Nebengebäude eine Vinothek gebaut. Der Trakt in Zadel steht bald zum Verkauf. Die Rebfläche wurde auf rund 60 Hektar zurückgefahren, ein Teil befindet sich in der Umstellung auf Bio-Bewirtschaftung. „Das Schöne an dem Beruf des Winzers ist der Umgang mit der Natur“, hat Lippe mit den Jahren gelernt. Im Rückblick freut er sich, „dass mich die Banken nie rasiert, sondern unterstützt haben.“ Dass sein Wirken auf breiter Front Anerkennung findet, zeigt die zweimalige Auszeichnung zum „Unternehmer des Jahres“ von unterschiedlichen Institutionen. Stolz ist er auf seine Mitarbeiter: „Ich habe ein tolles Team.“ Dass er mit seinem Wirken einige Dutzend stabile Arbeitsplätze geschaffen hat und dass dies auch von der hohen Politik anerkannt wird, zeigte der Besuch des einstigen Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf, der es sich trotz seiner 90 Lebensjahre nicht nehmen ließ, bei einer Feier zum 30. Jahr der Wiedergründung kurz vor Corona in Proschwitz dabei zu sein. Die aktuelle Auszeichnung durch die Weinfeder macht Prinz Lippe stolz. „Er kam strahlend nach Hause“, verrät seine Frau, Prinzessin Alexandra. Der Gutseigentümer selbst meint zur Ehrung: „Sie ist eine wunderbare Anerkennung unserer Arbeit im Weinberg und Keller. Jetzt stellen wir die Weichen für die nächsten 30 Jahre.“
Denn trotz des Erreichten legt der Mann vom Jahrgang 1957 noch nicht die Hände in den Schoß. Seit einigen Jahren plant er ein Hotel neben dem Schloß-Areal. Die Form einer japanischen Pagode stieß aber bisher bei der Stadt Meißen nicht auf Gegenliebe. Wenn sich die Idee realisieren lässt, ist das vermutlich schon eine Aufgabe für den 16-jährigen Sohn Moritz, der bereits mit Elan Wein am Gutsausschank verkauft, sich am eigenen Cidre versucht und Anteil am Weinbau schon vor zehn Jahren nahm, als er mit dem Vater frostgeschädigte Reben besichtigte und meinte: „Papi, wir schaffen das.“
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